Internationale Kunst im Kunstverein Wiesen
Main-Echo Pressespiegel

Internationale Kunst im Kunstverein Wiesen

Ausstellungen: »Wenn's gut werden muss« - Sommerausstellung vereint 19 Werke von international bekannten Künstlerinnen und Künstlern
Wiesen  Ein schar­fer künst­li­cher Zi­tro­nen-Ge­ruch emp­fängt die Be­su­cher der ak­tu­el­len Aus­stel­lung des Wie­se­ner Kunst­ve­r­eins in den ehe­ma­li­gen Räu­men der Spar­kas­sen-Fi­lia­le. »An­dy War­hol trägt Par­füm« hat der Ber­li­ner Künst­ler Mi­cha­el Sail­s­tor­fer die aus ei­ner gro­ben Holz­lat­te und ei­nem mit ei­ner Zeit­schalt­uhr aus­ge­stat­te­ten Duft­s­pen­der be­ste­hen­de Ar­beit ge­nannt.

Die lässt sich als hintersinnige Anspielung auf die Omnipräsenz des New Yorker Pop-Art Künstlers Warhol lesen. »Wenn's gut werden muss« - mit dem Werbeslogan eines Baumarkts hat Kurator Friedrich Gräfling die diesjährige Sommerschau des Wiesener Kunstvereins betitelt. Die Ausstellung vereint 19 Werke international bekannter Künstlerinnen und Künstler, darunter Alicja Kwade, Andreas Gursky, Gregor Hildebrandt und Erwin Wurm. »Wenn's gut werden muss« ist ein Titel, der auf mehreren Ebenen funktioniert. Der rein handwerkliche Aspekt spiegelt sich in den Materialien der meisten Kunstwerke wider: Kunststoffeimer, Neonröhren, Stuckleisten, Glühbirnen, Ketten, Holzlatten und Kabelbinder führen Marcel Duchamps Readymade-Gedanken fort, der Alltagsgegenstände in die Kunstgeschichte einführte.

Verstärkt wird die Wirkung der Werke durch den Ausstellungsraum. Seit 2022 nutzt der Kunstverein die leerstehende frühere Sparkassenfiliale an der Wiesener Hauptstraße für seine Sommerausstellungen. In Verbindung mit den nach wie vor sichtbaren Gebrauchs-Spuren der früheren Nutzer ähnelt manche Kunst dem Material für eine bevorstehende Sanierung.

Das gilt insbesondere für die zugänglichste Arbeit der Schau: Zwei Kunststoffeimer, ein weiß lackiertes Podest und eine grob skizzierte Anleitung sind die Elemente für Erwin Wurms »2 Buckets/One Minute« aus der Serie One-Minute-Sculptures, die zum Mitmachen auffordert. Mit einem Eimer über dem Kopf wird der Besucher selbst zur Kunst: zu einer Einminuten-Skulptur.

Rätselhafter und hermetischer erscheint da das zusammengezurrte Stuckleisten-Bündel des Künstler-Duos Elmgreen & Dragset, eine »Historical Detail, Fig. 6« betitelte Arbeit aus dem Jahr 2016. Eine Replik auf Gewalt in früheren Zeiten? Ein Abgesang auf bürgerliche Ästhetik? Keine Arbeit der Schau lässt eine eindeutige Lesart zu. Stattdessen werden gängige Symbole hinterfragt. So schimmert Anselm Reyles leuchtendes Neonherz im Dunkel eines kleinen Raums, in dem sich einst der Geldautomat der Bankfiliale befand. Ein passender Platz: Dürfte die Bargeld-Maschine für viele Anwohner des Spessartdorfs doch einst das Herz der Bank gewesen sein. Oder hat hier gar die Liebe das Geld ersetzt?

Wenige Schritte weiter: Reyles rätselhafte »Bar« aus dem Jahr 2023, ein mit einer Plexiglasplatte versehener Holzbock aus dem Atelier des Künstlers, gezeichnet von den Farbspuren seiner Malerei. Ganz dem Do it Yourself-Gedanken ist Reyles aus LED-Stäben, Kunststofffassung, Kabel und Kette bestehende Skulptur »Untitled« (2024) verpflichtet. Die Arbeit basiert auf einer gezeichneten Anleitung für den Kauf der Materialien und den Aufbau der Arbeit. Diesen Schaffensprozess überlässt der Künstler anderen, frei nach dem Songtitel der Band Tocotronic »Was Du auch machst, mach es nicht selbst«. Ganz nebenbei thematisiert und hinterfragt Reyle damit den Stellenwert handwerklicher Arbeit und der Materialität von Kunst.

Ein Baumarkt-Bestseller dürfte auch die Glühbirne sein, die dem chinesischen Künstler He Xiangyu in seiner Arbeit »Sorry« als leuchtender Türknauf dient. Ein Spiel mit der Symbolkraft der Pforte, die Zugang und Abweisung gleichermaßen impliziert. Dass Kurator Gräfling den sich erhitzenden Türöffner auf die ehemalige Sicherheitstür der Bank mit ihrem Türspion platzierte, verstärkt die politische Lesart.

Die graue Fläche auf Andreas Gurskys Fotografie »Ohne Titel« von 1993 zeigt den Teppich des Bundestags. Das Auge irrt über die Fläche mit den feinen Graustrukturen und sucht nach Halt.Alicja Kwade ist ein Weltstar in der internationalen Kunstwelt. In der Wiesener Schau ist sie mit zwei Arbeiten vertreten. »Option« von 2014 besteht aus zwei Latten, einer aus Holz und deren leicht verkleinerter Reproduktion aus Bronze, die einem Schatten ähnelt. Ein Spiel mit vereinbarten Kriterien von Wertigkeit. In Wiesen scheinen diese von einer höheren Macht abgesegnet: Der Schatten eines Kreuzes an der Wand über Kwades Installation rührt noch vom Kruzifix der einstigen Sparkassenfiliale her. Kwades »Meta-cm gelb (0-20 cm)« besteht aus einem Zollstock, aus dem die Zentimetereinheiten herausgefräst wurden. Wie in vielen ihrer Werke setzt sich Kwade auch in dieser kleinformatigen Arbeit aus dem Jahr 2018 mit gesellschaftlich vereinbarten Ordnungssystemen kritisch auseinander.

Ein Spiel mit Materialien ist auch Gregor Hildebrandts »Parkett« aus dem Jahr 2009, von den Ausstellungsmachern neu verlegt im ehemaligen Kundenbüro der Wiesener Sparkasse. Die Paneelen sind in Kunstharz eingegossene Kassettenbänder. Versiegelte akustische Erinnerung, trittfest verlegt.

Um Spuren der Vergangenheit und Bodenbeläge geht es auch in Christian Jankowskis Videoarbeit »Groundwork« aus dem Jahr 1993. Für seine damalige Abschlussarbeit an der Hamburger Kunsthochschule hat er Handwerker mit Schleifmaschinen engagiert, die den Holzfußboden des Hochschul-Ateliers und damit die Rückstände der Arbeiten seiner Kommilitonen befreiten.

Mehrere Tage hat der Künstler Paul Czerlitzki in den Wiesener Ausstellungsräumen verbracht, um dort seine Wandmalerei »Untitled« auf der Wand im Flur des Kunstvereins anzubringen. Wie ein Vorhang erscheint die herabhängende Leinwand, die der Künstler für seinen Malprozess auf der Wand verwendet hatte. Markierungen und Tape-Reste erinnern an den Entstehungsprozess. Czerlitzkis Werk steht im Dialog zu einer hellen Wandstelle, die ein Schrank dort hinterlassen hat.

An eine Schlangenbeschwörung erinnert Roman Signers Installation im letzten Ausstellungsraum: Ein mit Farbe gefüllter blauer Schlauch, den ein Balken abklemmt, ist auch ein Spiel mit physikalischen Prozessen. Für ihre Serie »Select« hat die Schweizer Künstlerin Gina Folly Tüten mit Samenmischungen in einen Rahmen gepackt. Wie der Ausstellungstitel entspringt auch Follys Serie einer Firmen-Marketingstrategie, die im Kunstkontext eine Neubewertung erfährt.

Immer wieder ist verblüffend, wie die Arbeiten in der Lage sind, Assoziationen in Gang zu setzten und dabei die Frage »Was ist Kunst?« neu zu stellen. Das improvisierte Ambiente des Wiesener Kunstvereins, in dem die Gebrauchsspuren der vorherigen Nutzung noch sichtbar sind, verstärkt die Wirkung und lässt die Kunst mit ihrer Umgebung verschmelzen.

»Wenn's gut werden muss« Bis 22. September im Kunstverein Wiesen. Teile der sind von außen einsehbar. Nächste öffentliche Führungen am Samstag und Sonntag, 3. und 4. August, jeweils 11 Uhr. Anmeldung erforderlich unter info@kunstverein-wiesen.de

Hintergrund: Kunstverein Wiesen

Der Kunstverein Wiesen wurde 2014 von Johanna und Friedrich Gräfling gegründet. Das Ehepaar betreibt auch den Frankfurter Salon Kennedy. Nach Angaben des Vereins-Vorsitzenden Friedrich Gräfling hat der Wiesener Kunstverein aktuell rund 70 Mitglieder. Die aktuelle Ausstellung ist die 15. Schau des Kunstvereins. Zu Beginn fanden die Ausstellungen vor allem im alten Wiesener Schloss statt. Seit 2022 ist die ehemalige Sparkassenfiliale in der Hauptstraße Hauptausstellungsort des Kunstvereins. Einige Ausstellungen wie »Rocking Meadows« im Jahr 2023 erstrecken sich über das ganze Gemeindegebiet Wiesens. Einige der Arbeiten früherer Ausstellungen, darunter das Mückenhaus oder die »Tränen« Michael Sailstorfers - sind dauerhaft im Ortsbild zu sehen. (ab)

12.07.2024
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